Anmerkungen zur Konferenz des European Institute for Gender Equality (EIGE) am 28. November 2011 in Brüssel
„Gender Mainstreaming is a vast topic ...“
Opening Session:
Virginia Langbakk, die Direktorin des Europäischen Gender Instituts in Vilnius, Litauen, eröffnete die Tagung mit der sich das EIGE zum ersten Mal der Öffentlichkeit stellte. Sie konstatierte, dass Gender Mainstreaming (GM) in der EU nur ungenügend umgesetzt sei und großer Nachholbedarf bestünde.
Daniela Bankier, Direktorin der Abteilung für Chancengleichheit von Frauen und Männern beim Department General Justice nennt Gender Mainstreaming (GeM) ein Prinzip, das dem gesunden Menschenverstand entspränge und auf dem Artikel 8 des EU-Vertrages basiere, dort aber nicht wörtlich eingeführt werde. Ein Hauptziel der Europäischen Kommission für Gender Mainstreaming in der Förderperiode 2011 bis 2015 sei es, die Beschäftigungsquote von Frauen von 62 Prozent auf 75 Prozent im europäischen Durchschnitt zu erhöhen. Wenn GeM sich auf dieses Ziel reduziert, ist es aber auch selbstverständlich, was sie als Herausforderung charakterisiert: Die geringe Sichtbarkeit und Kommunizierbarkeit von GeM, weshalb es für Verantwortliche Politiker_innen wenig attraktiv bleibt. Die Gewinne von GeM würden nicht deutlich, insbesondere, was seinen Beitrag zur höheren Effizienz und Effektivität ausmache. Ihr stelle sich die Frage – und das scheinbar auch vielen Teilnehmenden der Tagung: Wie kann das EIGE die europäischen Institutionen bei der Umsetzung von GeM wirklich unterstützen?
Anne Galang arbeitet als eine Nationale Expertin in der Gender Equality Unit der Europäischen Kommission. Sie organisiert Konferenzen über spezifische Fragestellung des GeM zum Austausch über Good Practices. In diesem Rahmen sei es möglich Kritik zu äußern und aufzunehmen, an die bisher noch nicht gedacht worden sei. Das scheint uns - auch angesichts des Frontalsettings in dieser Konferenz - dringend angebracht.
In ihrer Einführungsrede unterschied Anne Galang vier 4 Gruppen von Ländern nach dem Stand der Umsetzung von GeM
- Startende Länder – vor allem die EU-Neumitglieder
- Gute Gesetzeslage, aber keine konkreten Umsetzungsmaßnahmen – vor allem Altmitglieder
- Fortgeschrittene Umsetzung von GeM: Frankreich, Österreich, Großbritannien
- Starke und lange Tradition: vor allem die skandinavischen Länder
Zur Implementierung von GeM seien Gender-Trainings zwar wirklich notwendig, aber sie müssten sehr spezifisch und handlungsorientiert sein. Eine Einschränkung, die auf schlechte Erfahrungen und Befürchtungen schließen lässt. Darüber hinaus forderte Anna Galang praktische Checklisten und keine komplizierten Manuale – ein Forderung, die in der Diskussion um GeM seit mehr als 10 Jahren immer wieder auftaucht. Zudem sei GeM ein „never ending project …“, eine Beschreibung, die die Attraktivität von GeM nicht gerade erhöht.
Barbara Limanowska, die Senior Expertin für GM und „Head of operation“ des EIGE sagte: „Wir haben in diesem Jahr begonnen …“. Allerdings datiert der Beschluss des Europäischen Parlaments zur Gründung des EIGE vom 20. Dezember 2006 und das EIGE nahm im Mai 2007 zunächst in Brüssel seine Arbeit auf, bevor es nach Vilnius umzog. Was in der Zwischenzeit im EIGE passiert ist bleibt ein Geheimnis. Denn der erste Jahresbericht behandelt das Jahr 2010. Und das EIGE sammelt – eine wahrhaft weiblich konnotierte Tätigkeit - Informationen über gute Praxisbeispiele, die funktionieren, übertragbar und wiederholbar sind und Lernen ermöglichen. Barbara Limanowska schränkte allerdings ein, dass es keine einheitliche Definition von „good practice“ gebe. EIGE-Kriterien sind u.a. „works well“ und „transferability“. Und: Die Studie des EIGE zeigt, dass Gender Training ein „key tool“ für Gender Mainstreaming ist. 2012 soll es eine Datenbank für Trainer_innen geben. Wir sind gespannt…
Marie Bustelo, die Leiterin des im Frühjahr mit der Konferenz in Madrid beendeten QUING-Projektes der Complutense Universität Madrid beschrieb den Erkenntnisprozess des Forschungsprojektes. Sie schilderte, wie sich das Projekt von Curriculum Standards verabschiedet hat und Qualtitätskriterien für Gender Trainer_innen sucht. Es seien nicht die Manuale und Handbücher, die zählen, sondern eher Leitlinien. Als Good Practices sollten auch Beispiele mit Entwicklungspotenzial zählen, die noch nicht abschließend zu bewerten seien. Stellt sich die Frage, ob nicht genügend auswertbare Beispiele gefunden wurden.
Marie Bustelo schlug vor, sich nicht auf die Trainer_innenausbildung zu konzentrieren, sondern auf „Communities of practice“, die sie in Anlehnung an Etienne Wenger beschreibt als Gemeinschaft von Menschen mit einer gemeinsamen Passion. Genauer ausgeführt ist das im Trainermanual des Quing-Projekts von 2009.
Gender Trainings müssten integriert sein in eine breite Strategie zur Gleichberechtigung der Geschlechter, stellte sie als erstes Ergebnis der Arbeit der QUING-Forschungsprojektes vor. Sie betonte die Wichtigkeit von beteiligungs- und erfahrungsorientierten Methoden in den Trainings und die Bedeutung des Setting mit Pausen, Arbeitsatmosphäre für den Erfolg der Trainings.
Wenn das die wesentlichen Erkenntnisse eines umfangreichen fast sechsjährigen, breit angelegten Forschungsprojektes sind, dann ist das – vorsichtig formuliert – etwas dürftig.
Panel 1:
Die Moderatorin des Panels Agnes Hubert ist Beraterin im Büro für Europäische Politik, dem Think Tank der EU-Kommission. Sie beschrieb kurz die Schwierigkeit, die Gender Perspektive in aktuelle und strategische politische Debatten zu integrieren.
Viviane Willis-Mazzichi von der Generaldirektion Forschung und Intervention der Kommission präsentierte ein überaus praktisches „Toolkit on Gender in EU-funded Resarch“, welches ein eintägiges Gender Training, das in 14 Ländern 43 Mal mit mehr als 800 Teilnehmenden durchgeführt wurde, im Detail vorstellt. Dabei wurde die Zufriedenheit der Teilnehmenden mit 8,6 von 10 Punkten überaus hoch bewertet und mehr als ein Viertel männliche Teilnehmende erreicht.
Auch Saniye Gülser Corat von der Gender Equality Division der Unesco konnte in 10 Minuten das „Gender Equality eLearning Program“ zur Weiterbildung in Gender Mainstreaming als Good Practice vorstellen, das bei der Unesco seit 2005 wegen der geringen finanziellen Ausstattung vollständig mit Bordmitteln durchgeführt wird, also nur mit eigenem Personal. Die Trainings dauern zwischen zwei Stunden und einer Woche.
Panel 2:
Heide Cortolezis von Arcade aus der österreichen Steiermark schult in einer zwölftägigen Weiterbildung Gender Agents – mehr nicht. Ihre Beispiele zeigten aber eher, wie sie die vor allem männlichen Teilnehmer beeinflusst hat mit einer unseres Erachtens wenig von Wertschätzung zeugenden Haltung.
Anna Ulveson vom Schwedisches Städtebund beschrieb, wie Schweden vom Wort zur Aktion kommt: 66.000 Menschen haben bislang an Gender Trainings teilgenommen. Die Hälfte davon waren Politiker_innen. Die Hompepage wird es bald auch in Englisch geben, was uns einen detaillierten Einblick in die am weitesten entwickelte Praxis geben wird.
Panel 3:
Ines Sanchez de Madariaga vom Spanischen Ministerium für Wissenschaft und Innovation stellte das erfolgreiche „Stride Program“ der Universität von Michigan vor, bei dem Uniprofessor_innen ihre Kolleg_innen fachspezifischen Gender Trainings unterzogen haben.
Der einzige Mann auf dem Konferenzpodium, Niall Crowley, ist selbständiger Berater von EQUINET, das Netzwerk der Gleichstellungsverantwortlichen in Europa.
Katrien van der Heyden von der aus der Universität von Antwerpen ausgegründeten privaten niederländischen Beratungsfirma Engender demonstrierte wie wichtig es ist, in Gender Trainings immer wieder Menschen in die Perspektive zu bringen. Wo ist Gender, wenn wir Schnee schippen. Wir befreien Straßen von Schnee, die Menschen nutzen. Frauen auf dem Bürgersteig, Männer im Auto usw. Ein Baudezernat plant keine Immobilien, sondern Räume für Menschen … Die Aufmerksamkeit, die sie für die wenigen Beispiele von den Teilnehmenden bekam, in denen sie Schwierigkeiten in Gender Trainings beschrieb, zeigten deutlich den Bedarf nach Erfahrungsaustausch. Der war leider auch im Rahmen dieser Konferenz wieder nicht möglich. Problemlösungsstrategien können nicht in Vorträgen vorgestellt werden, sondern müssen gemeinsam an konkreten Beispielen erarbeitet werden.
Closing Session:
Und ein guter Service des EIGE war die rechtzeitig zum Kongress erschienene Broschüre „Good Practises in Gender Mainstreaming“, in der außer den hier beschriebenen insgesamt sechs Good Practices detailliert mit Materialien beschrieben sind.
Fazit:
Gibt es denn wirklich kaum eine inhaltliche Weiterentwicklung seit Beginn der Diskussion um GeM in der EU? Oder warum werden immer wieder die gleichen Selbstverständlichkeiten von den zentralen Akteurinnen von GeM auf europäischer Ebene betont: GeM müsse ein Top Down-Prozess, eingebettet in eine Gesamtstrategie sein, in der Gender Trainings ihren eigenständigen Platz hätten, wenn sie erfahrungs- und handlungsorientiert umgesetzt würden. Ja, das erfahren wir in all unseren Beratungsprozessen – manchmal auch überaus schmerzhaft.
Was wirklich erfrischend war, ist die Selbstverständlichkeit mit der der Begriff Gender Mainstreaming in den Mund genommen wurde, die uns ja in Deutschland spätestens seit der konservativ-liberalen Bundesregierung abhanden gekommen ist. Und natürlich die Begegnungen mit den vielen interessanten weiblichen Teilnehmenden und den acht männlichen.
Schon „droht“ die nächste EIGE-Tagung zum Thema Qualitätsstandards in Gender Trainings im Herbst 2012. Wäre es nicht an der Zeit, mit einer Gruppe von Kolleg_innen Position zu beziehen? Wenn dies gut vorbereitet ist, könnte man sicher eine deutliche öffentliche Infragestellung der halbherzigen Vorgehensweisen der EU als auch klare Qualitätsstandards für Gender Trainings und Beratung formulieren.